Ungeachtet aller verheerenden Verluste kann das heutige Nürnberg eine ganze Reihe historischer Treppen aus reichsstädtischer Zeit aufweisen.
Die meisten (und ältesten) Beispiele sind Spindeltreppen. Die Lauffigur der Treppen ist unabhängig von dem Grundriss des Türmchens, das sie enthält. Dies zeigt sich ganz deutlich im 13. und 14. Jh. an St. Sebald (Fotos 4 und 5): dort beginnen die Treppentürmchen rund, um oben polygonal fortgesetzt zu werden. Das Stifttürmchen am Südturm von St. Lorenz ist vollständig zylindrisch, das an der Ostseite des Nordturmes nur polygonal (Fotos 6 und 7), auch die im 15. Jh. errichteten Stifttürmchen südlich und nördlich des Lorenzer Chors sind durchgehend polygonal (Foto 8). Allerdings erreicht man bei beiden Kirchen die obersten Geschosse nur durch Holztreppen, in Sebald durch gerade vierarmige Holztreppen, die entlang der Wangen der Turmbinnenseiten verlaufen.
Älteste erhaltene Treppe Nürnbergs dürfte die Holztreppe im Holzzylinder des Sinwellturms der Kaiserburg sein, der im 12. Jh. errichtet, um 1560 erhöht wurde. Ausgerechnet im Turmoberteil der Renaissance findet sich eine teilgewendelte Treppe, deren gerader Lauf dreieckige Keilstufen zeigt (Fotos 2 und 3), die älteste, in der Gotik übliche Form von Holzstufen – hier wohl zweitververwendet.
Geradarmig mit Wendepodest ist die 1514-17 von Hans Beheim erbaute Treppe über den Lochgefängnissen im Rathaus (Foto 16). Wenig früher hatte derselbe Architekt im Hof des Welserhofs ein völlig offenes Gehäuse errichtet (Fotos 9 bis 15), deren Treppe nach fünf vorgelegten geraden Stufen rechtsgewendelt, bereits aber nach zehn weiteren Stufen nach links eine Stichtreppe zur unteren Galerie abzweigt. 1519 hat er schließlich in einem Polygon die Treppe zur Oberen Sakristei von St. Lorenz errichtet, außen durch verglaste rhomboide Fenster zwischen Maßwerkbändern, innen durch die fein profilierte Stufenunterseite gekennzeichnet (Fotos 19 bis 21).
Tuchersches Gartenanwesen, Zylindrische Turmtreppen, 1533-44
Architekt Paulus Behaim
In seiner höchst originellen Lösung nimmt Paulus die Gestalt der Unterseite der Stufen aus der Treppe zur oberen Sakristei in St. Lorenz von seinem Vater Hans wieder auf. Ferner endet die Haupttreppe auf Dachniveau in einem schöpferischen Pfeiler mit einem gepolsterten "Teleskopkapitell", die geradezu an die Avantgarde des 20. Jh. denken lässt (Verwaltung der S.C. Johnson in Racine/Winsconsin, Frank Lloyd Wright 1936) .(Fotos 21a_1 bis 21a_4).
Nachgotische Treppen unterschiedlicher Gestalt rekurrieren auf Maßwerk oder nehmen das zylindrische Treppentürmchen wieder auf (Fotos 22 bis 26).
Ein bedeutender Treppenturm im Pellerhaus (Fotos 27 bis 35c) stand um 1605 noch frei, unmittelbar bevor er von den Hofarkaden ummantelt wurde. Die heute wiederhergestellten Arkaden haben ihn in den Zustand von 1607 zurückgeführt. Es handelt sich um eine Treppe mit Hohlspindel und Wangensäulchen, die Stufenunterseite ist reich dekorativ reliefiert – Vorläufer davon sind das Deutschordensschloss Mergentheim und kurz danach das Haus zum Breiten Herd in Erfurt sowie das Haus Brandgasse 15 in Straßburg.
Reine Spindeltreppen in Fachwerk haben sich ebenfalls erhalten. Zu den frühsten gehört die Kleinweidenmühle aus der Zeit nach 1550 (Fotos 36 und 37) als Polygonalprisma und das zeitgleiche, ausnahmsweise als meisterhaftes Zylindertürmchen gestaltete Treppe des alten Sebastiansspitals (Foto 38 und 39). An einer Ecke des Gartenhauses „Barockhäusle“ steht ein Spindeltürmchen, dessen runde Öffnungen die Zeit um 1600 verraten (Fotos 44, 45 u. 46). Gelegentlich wurde das Fachwerk verputzt, wie Johannisstraße 43 zeigt (Foto 43). Das Fachwerkschlösschen der Peller in Fischbach von 1557 zeigt eine Wendeltreppe (Fotos 40, 41 und 42), deren Außenwange von einem Hängestiel gehalten wird.
Im Barock lebt die Tradition fort, wobei einige Neuerungen auftreten. Vollständig in Holz gezimmert sind zwei spiegelsymmetrische Außentreppen unter Pultdach vor der Fassade des Uhrenhauses in Hammer ( Fotos 48 und 49). Sie sind einläufig und gerade, das Eigangspodest hängt jeweils in der Luft ohne Stützen. Im Bürgerhaus Irrerstraße 2 (Foto 50) zeigen die Brüstungen hölzerne Balustersäulchen, die seit der Spätrenaissance langsam und nicht ohne Widerstand das Maßwerk verdrängen. Massive, polygonale Treppentürmchen wurden unbeirrt weiter gebaut (Fotos 51, 52 und 53), am häufigsten mit Okuli (Rundfenstern). Das Schlösschen Almoshof (Fotos 54, 55 und 56) zeigt eine Holspindeltreppe deren Konstruktion ebenfalls mittels Hängestiele hält und einen gewagten freiräumigen Eindruck macht.
Bezeichnend für den reifen Barock sind Außentreppen mit symmetrisch, teils oder ganz kurvierten Läufen (Fotos 57 und 58): Im Hof des Bürgerpalais Johannisstr. 19 ist die Treppe hufeisenförmig; das gemeinsame Podest ist intern, es befindet sich in einem chörleinartigen Aufgang der Hausrückfassade.
Der 1734-35 umgebaute untere Treppenabschnitt des Fembohauses zeigt spätbarocke Formen, ein geschnitzter Merkur schmückt das Geländereck (Foto 59).
Dr. Pablo de la Riestra,
Nürnberg (Mai 2021, Juli 2023)
Standort: Nürnberg, St.Lorenz
Foto 2010, Pablo de la Riestra
Standort: Nürnberg, St. Lorenz
Foto 2012, Pablo de la Riestra
um 1616 Innenansichten des Treppenzylinders.
Man beachte, dass einzelne Stufen in jeweiliges Spindelteil aus einem Stück sind.
Rechts Treppentop mit radialer Balkendecke.
Foto 2023, Pablo de la Riestra
Jakob Wolff d.Ä. / 1602 - 1605
2023, Pablo de la Riestra
Jakob Wolff d.Ä. / 1602 - 1605
Foto 2017 und 2023, Pablo de la Riestra
Jakob Wolff d.Ä. / 1602 - 1605
Standort: Nürnberg, Pellerhaus, Egidienplatz 23
Stil: Renaissance
2023, Pablo de la Riestra
zweite Hälfte 16. Jahrhundert
Foto 2019, Pablo de la Riestra
zweite Hälfte 16. Jahrhundert
Foto 2019, Pablo de la Riestra
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